Der Ideenwettbewerb
Text von Roger Küng
Wie lange der Weg eines Bauvorhabens sein kann, zeigt das im Juni 2018 ausgeschriebene Wettbewerbsprogramm zur Neugestaltung des Marktplatzes Bohl in St. Gallen: Projektwettbewerb im Jahr 2008, anschliessend Weiterbearbeitung bis zum Vorprojekt, danach Ablehnung des Kredits durch die Stimmbevölkerung. Auch das überarbeitete Projekt scheitert an der Urne. Sieben Jahre nach der Durchführung des Wettbewerbs entscheidet sich die Stadtplanung St. Gallens für einen neuen Ansatz, den ldeenwettbewerb. Dabei liefert ein Ideenwettbewerb kein fertiges Projekt, stattdessen soll eine breite Auswahl an konzeptionellen Ansätzen erarbeitet werden. Es sollen Ziele, Bedürfnisse und Interessen frühzeitig mit architektonischen Konzepten verbunden werden, also lange bevor das Bauvorhaben genau festgeschrieben ist. Tatsächlich begutachtete 2016 der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) gerade mal zwei ldeenwettbewerbe, während es 1972 noch 21 waren. Heute werden die Entscheide der ersten Stunde mit Machbarkeitsstudien und Testplanungen, also weitestgehend ohne einen ldeenwettbewerb, gefällt.
Dies hat zwei Gründe: Erstens befürchten viele Architekten Ideen ohne Gegenleistung zu verschenken. Weil der Bauauftrag meist noch weit entfernt ist, sehen sie den Ideenwettbewerb als unsichere Akquisition. Denn Geld verdienen die Architekten primär mit dem Bau eines Werks und nicht mit der Idee. Damit überliessen sie das Feld den professionellen Bauherren, die keinen besonderen Mehrwert in dem Ideenwettbewerb sahen. Wer überzeugt ist, die richtigen Antworten bereits zu kennen, möchte sie nicht in einem Verfahren zur Diskussion stellen. Jedoch zeigt der der lange Prozess des Marktplatzes in St. Gallen, dass die Öffentlichkeit zunehmend mitreden will. Die Gründe, sich für seine Bauvorhaben rechtfertigen zu müssen, dürfte in der aktuellen Diskussion der verdichteten Siedlungsentwicklung zunehmen. Der Auftraggeber ist somit gut beraten, sich in einer frühen Planungsphase möglichst breit abzustützen. Der Widerstand fusst oft im Gefühl der Betroffenen, im Planungsprozess übergangen worden zu sein. Er ist Ausdruck von Misstrauen gegenüber herkömmlichen Planungsprozessen. Verfahren, die früh die Öffentlichkeit einbeziehen, haben da einen Vorteil. Sie können Rückmeldungen aus der Bevölkerung im weiteren Planungsprozess aufnehmen, ohne das Gewinnerprojekt infrage zu stellen. Der Druck aus der Bevölkerung könnte also jene Auftraggeber begünstigen, die mit klugen Verfahren strategische Lösungen aufzeigen.
Damit das gelingt, muss der Ideenwettbewerb jedoch in zwei wesentlichen Punkten angepasst werden. Damit Architekturbüros bereit sind, einen substanziellen Beitrag zu leisten, ist die Verbindung mit einer späteren Realisierung unerlässlich. Die zweite Änderung ist organisatorischer Art, denn für einen öffentlichen Diskurs müssen vorgeschaltete Mitwirkungsprozesse sowie anschliessende Führungen und Diskussionsrunden organisiert werden. Professionelle Beratung oder ein Erfahrungsaustausch sollte jedem Auftraggeber in Aussicht gestellt werden, wenn er sich für die Durchführung eines Ideenwettbewerbs entscheidet. Wer den Weg des Ideenwettbewerbs 2.0 beschreitet, ist mutig, betritt Neuland und braucht die Unterstützung der Architekten und deren Berufsverbänden.
Zum Autor
Roger Küng hat sich im Rahmen seiner Weiterbildung Gesamtprojektleitung Bau an der ETH Zürich intensiv mit dem Thema Ideenwettbewerb befasst. Dieser Text, der auf seiner MAS-Thesis «Sechs Thesen zum ldeenwettbewerb» basiert, ist in Ausschnitten in der hochparterre wettbewerbe, Ausgabe 5 von Dezember 2018, erschienen. Roger Küng ist Architekt FH und Projektleiter im Baubüro in situ, Zürich.
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Quellen:
Roger Küng, Sechse Thesen zum Ideenwettbewerb, MAS-Thesis 2018 des Weiterbildungsstudiums Avanced Studies ETH, Professur für Architektur und Bauprozesse (Hrsg.), Zürich, 2018